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Schutzschirm für alle Vereine - Interview mit BSB-Präsident Gundolf Fleischer

Interview mit BSB-Präsident Gundolf Fleischer über die Auswirkungen der Corona-Epidemie auf den Vereins- und Verbandssport in Südbaden.

Herr Fleischer, wie haben Sie die letzten Wochen in Zeiten von Corona verbracht?
Meistens zuhause. Den Mitarbeitern unserer Geschäftsstelle in Freiburg habe ich sehr zeitnah angeboten, wo möglich im Homeoffice zu arbeiten. Das hat mich allerdings nicht daran gehindert, täglich in der Geschäftsstelle Notwendiges und Aktuelles zu erledigen. Gerade im sportpolitischen Bereich gab es einen intensiven Austausch mit dem BSB-Präsidium, dem geschäftsführenden LSV-Präsidium, aber auch mit zahlreichen Verbänden und Vereinen. Ich habe mir auch in direkten Telefonaten mit Vereinen, mit kleinen wie mit großen, von der aktuellen Lage an der Basis berichten lassen.

Aktuell werden die Schritte hin zur Normalität diskutiert. Welche Rolle messen Sie dabei dem Sport, sowohl dem Leistungs-, als auch dem Breitensport, bei?
Ich will vorausschicken, dass ich über das Verhalten einiger Vereine des Profifußballs in Bezug auf die vorzeitige Wiederaufnahme des Trainingsbetriebs nicht sehr glücklich war. Nachdem der Profifußball Mitte April dann wieder einen eingeschränkten Trainingsbetrieb gefordert und erreicht hat, wurde dies auch dem Leistungssport Schritt für Schritt zugestanden. Mit Genehmigung der Landesregierung haben wir nun auch den zunächst völlig brachliegenden Betrieb des Olympiastützpunkts langsam hochgefahren, allerdings unter strengster Beachtung der Vorschriften. Was die Breitensportvereine oder auch unsere Sportschule in Baden-Baden Steinbach anbetrifft, gehe ich davon aus, dass das Sportverbot insoweit auch so lange aufrecht erhalten bleibt wie die staatlich verordneten Kontaktbeschränkungen dies erforderlich machen. In keinster Weise glücklich bin ich über den Flickenteppich, den wir jetzt haben, nachdem Rheinland-Pfalz und wenige andere Bundesländer bereits am 20. April erste Öffnungen im Trainingsbetrieb erlaubt haben. Dies hat bei verschiedenen Verbänden im Land berechtigterweise zu Unverständnis geführt.

Welche Szenarien sind bei der Aufhebung der Kontaktbeschränkungen denkbar?
Da muss man natürlich innerhalb der Sportarten unterscheiden. Bei einem einzelnen Segler oder Speerwerfer wird die Öffnung anders verlaufen als bei Kampf- oder Mannschaftssportarten. Klar ist – überall gilt: Distanz- und Hygieneregeln einhalten, Umkleiden und Duschen zu Hause, Fahrgemeinschaften aussetzen, Trainingsgruppen verkleinern usw.

Es wurden generell alle Sportanlagen geschlossen, aber es gibt doch Sport, der auf Distanz ausgeübt werden kann. Warum wurden eigentlich auch Golf- und Tennisplätze sowie beispielsweise auch alle Häfen am Bodensee geschlossen? 
Durch das generelle Sportverbot wollte die Politik den Ernst der Lage klarmachen. Da gab es keinen Raum für Differenzierungen, und das war auch aus meiner Sicht ist richtig so. Einzelfallregelungen hätten zu merklichen Irritationen und zu Akzeptanzproblemen in der Bevölkerung geführt, insbesondere im Verhältnis Leistungs- zu Breitensport. Natürlich fiel das dem einen oder anderen schwer. Aber wenn ein Leistungssportler gerudert wäre und ein Freizeitsportler hätte dies nicht gedurft – wie hätte man dies der Bevölkerung erklären sollen? Bei der Wiederzulassung des Sportbetriebs sehe ich das freilich, wie oben dargelegt, anders.

Erhoffen Sie sich hier Solidarität unter den Sportarten oder droht gar eine Neiddiskussion? 
Genau diese Neiddiskussion hat bis jetzt nicht stattgefunden. Und ich hoffe, sie wird auch nicht stattfinden, wenn die Entscheidung auf politischer Ebene über die Wiederaufnahme des Trainingsbetriebs ausreichend sensibel und damit für jeden nachvollziehbar länderübergreifend umgesetzt wird.

Nicht nur viele Sportclubs mit Teams im Leistungsbereich stehen vor großen wirtschaftlichen Problemen, auch der gesamte Breitensport wurde auf null reduziert. Wo sehen Sie die gravierendsten Folgen für die Sportvereine abseits des Leistungssports?
In der Regel muss man bei einem Sportverein zwischen ideellem Betrieb, Zweckbetrieb und wirtschaftlichem Geschäftsbetrieb unterscheiden. Im ideellen Betrieb appelliere ich an alle Vereinsmitglieder, ihrem Verein gerade in dieser schwierigen Lage die Treue zu halten. Besondere Treue, auch finanzieller Art, ist das Gebot der Stunde. Im wirtschaftlichen Bereich hat die Landesregierung für existenzielle Notfälle einen Finanzschirm erlassen. Hier geht es um die wirtschaftliche Existenz und Überbrückung von akuten Liquiditätsengpässen, u. a. für laufende Betriebskosten wie Miete, Kredite für Betriebsräume, Leasingraten usw. Ein Bereich, in dem durch die Bank weg bei allen Vereinen, auch bei kleineren, mit finanziellen Verlusten gerechnet werden muss, ist der Zweckbetrieb. Also bei Festen, Eintrittsgeldern, Kursen. Wir als Badischer Sportbund Freiburg haben als Erster in Baden-Württemberg frühzeitig unsere Verbände, und über diese dann auch unsere Vereine, angeschrieben und gebeten, sorgfältig aufzulisten, welche Schäden entstanden sind. Um Art und Umfang des Schadens abschließend beantworten zu können, muss man freilich die Wiederaufnahme des Sportbetriebs abwarten. Allerdings warne ich vor der Erwartungshaltung, dass jegliche Einnahmenausfälle staatlicherseits ersetzt werden können.

Liegen zwischenzeitlich konkrete Aussagen der Landesregierung vor? 
Konkrete Aussagen, wann und in welcher Höhe, liegen seitens der Landesregierung, Stand heute, nicht vor, wohl aber die Versicherung der für den Sport im Land zuständigen Kultusministerin Susanne Eisenmann, den Sport nicht im Stich zu lassen. Ich gehe beim auch jetzt wieder zusätzlich geleisteten Ehrenamt davon aus, dass es zu einer großzügigen und konkreten Regelung kommen wird. Von entscheidender Bedeutung ist für mich, dass nicht nur Sportvereine im wirtschaftlichen Geschäftsbereich, sondern alle Sportvereine, durch Erlass der Landesregierung unter einen Schutzschirm kommen, damit sie auch noch am Ende des Jahres, wenn Art und Umfang der Schäden im Verein erst abschließend feststehen, aus den Corona-Mitteln des Landes entschädigt werden können.

Der BSB Freiburg und der Württembergische Landessportbund haben sich bereits am 6. April an die Kultusministerin gewandt. Vor welchem Hintergrund?
In erster Linie vor dem Hintergrund des gerade erwähnten Schutzschirms. Diesen benötigen wir als Rechtsgrundlage. Wenn wir nicht unter diesen kommen sollten, kann es leicht passieren, dass ein Kassensturz des Landes zum Jahresende die Begleichung der Schäden schließlich unmöglich machen könnte.

Der BSB selbst will, wie zu hören war, extra eine Stabsstelle einrichten? 
Ja, ohne großen Aufwand und Zusatzkosten werden wir in unserer Geschäftsstelle in Kürze eine Stabsstelle einrichten, die sich mit den Auswirkungen für Vereine und Verbände befasst. Bis jetzt jedenfalls, auch das möchte ich an dieser Stelle betonen, gibt es nur einzelne Fragen von Vereinen. Hilfe gebietende finanzielle Schieflagen sind mir Stand heute nicht bekannt.

Finanziell dürfte sich flächendeckend bei fast allen Vereinen der Übungsleiterzuschuss auswirken, da viele Übungsleiter in diesem Jahr möglicherweise nicht auf die erforderlichen Stunden kommen. Wie geht man beim BSB damit um? 
Unsere Vorstellungen decken sich in diesem Punkt mit denen des Kultusministeriums, Übungsleiter-Zuschüsse aufgrund weniger geleisteter Stunden im Zeitraum der Pandemie nicht zu kürzen.

In den vergangenen Jahren war viel die Rede vom Verein als Dienstleister, etwa wenn es darum ging, sich gegen kommerzielle Angebote durchzusetzen. Wenn aber jetzt der Verein sein Angebot nicht aufrechterhalten kann, dann dürfte dies möglicherweise beim einen oder anderen Mitglied die Frage aufwerfen, ob es für ein Angebot zahlen soll, das es nicht nutzen kann? 
Das sehe ich anders. Ein Mitgliedsbeitrag in einem Sportverein ist ja nicht an eine direkte Leistung des Vereins gebunden. Deshalb wünsche ich mir, dass wegen einiger Monate, in denen das Vereinsleben brachliegt, weder ein Mitglied austritt noch einen anteiligen Mitgliedsbeitrag zurückverlangt. Bei Kursangeboten mag das anders sein. Sport im Verein ist aber mehr als nur Sport. Und das anerkennt ein Großteil der Mitglieder auch, da bin ich mir sicher. Wir haben hier in Baden-Württemberg eine Vereinskampagne ins Leben gerufen mit genau diesem Titel: MEHR ALS SPORT. Leidenschaft, Zusammenhalt, Gemeinschaft. Und der Verein in Südbaden mit einer durchschnittlichen Größe von rund 400 Mitgliedern ist eben nicht nur ein Dienstleister, schon gar keine Firma, sondern mehr.

Größere Mehrspartenvereine haben oft auch hauptamtliche Vereinsmitarbeiter und Trainer. Können diese Vereine, ähnlich wie Betriebe, auf staatliche Mittel hoffen, um die Krise zu meistern?
Ja, Vereine mit sozialversicherungspflichtigen Angestellten können zum Beispiel Kurzarbeit anmelden und so ihre Verluste in Grenzen halten. Das wird bei größeren Vereinen auch schon in Anspruch genommen.

Viele Vereine, vom SC Freiburg angefangen, bis hin zu den Clubs auf dem Land, haben sich in der trainings- und wettkampffreien Zeit stark engagiert. Sehen Sie die These vom Sportverein als Kitt für die Gesellschaft in der Krise bestätigt?
Diese These, die meines Wissens bereits vor vielen Jahren der Journalist Hans-Reinhard Scheu aufgestellt hat, ist gültiger denn je In der Tat, viele Vereine haben während der Pandemie vielfältigste Hilfen angeboten. Und dies nicht nur für Vereinsmitglieder. Nehmen wir nur die Nachbarschaftshilfe. Was die Vereine gegenüber dem Gemeinwesen geleistet haben ist fantastisch. Es gibt dutzende von Beispielen in Hilzingen, Schönau, Todtnau, Emmendingen, Au-Wittnau, Merzhausen, Bühl oder Hofstetten, um nur ganz wenige zu nennen. Ich habe mich mit diesen intensiv auseinandergesetzt. Und auch Verbände haben aufgerufen, im Handball oder durch den hiesigen Fußballverband mit seiner Aktion #helfenstatttrainieren. Und – ich will das noch einmal betonen – nicht umsonst setze ich darauf, dass die Landesregierung den organisierten Sport, auch die kleineren und mittleren Vereine, nicht zuletzt gerade aus diesem Grund unter ihren Rettungsschirm nimmt.

Wo sehen Sie die südbadische Sportlandschaft in fünf Jahren? Kann es nahtlos so weitergehen wie in der Zeit vor dem Corona-Virus oder erwarten Sie Veränderungen? Das hängt natürlich von der Länge der Beschränkungen und davon ab, ob Vereinen für alle Bereiche die notwendige finanzielle Unterstützung zuteil wird. Wir, also der Landessportverband und die drei Sportbünde, verhandeln ja in Bälde mit dem Land den Solidarpakt der Jahre 2021 bis 2026. Sollten hierbei seitens der Politik die von uns äußerst seriös ermittelten Bedarfe im Breiten- und Leistungssport, angefangen vom Sportstättenbau über die Sportgeräte, die genannten Übungsleiterpauschalen bis hin zu den Kooperationen Schule-Verein, aber auch den Bereich der Sportschulen oder die Investitionen und der Betrieb im Leistungssport, um nur einige wenige zu nennen, angemessen berücksichtigt werden, so sehe ich für unsere südbadischen Vereine eine gute Zukunft voraus. Zumal sich gerade in diesen Corona-Zeiten bewiesen hat, dass sich das ehrenamtliche Engagement nicht vermindert, sondern eher noch steigert.

(Das Interview wurde geführt mit Wissensstand 20. April.)

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